Berlin ist bereits auf dem Weg: Von der „linearen“ Wegwerfgesellschafthin zur Kreislaufwirtschaft
„Jedes Einkaufszentrum sollte auch einen Reparaturservice haben“, sagt Dr. Peter Berrill, Forscher für urbane Nachhaltigkeit an der Technischen Universität Berlin. Er verweist auf die „Re-use“-Strategie Berlin, bei der es um die Reparatur und Wiederverwendung gebrauchter Gegenstände geht. Im Haus der Materialisierung am Alexanderplatz zum Beispiel beschäftigen sich Reparaturinitiativen mit Reststoffen und gebrauchten Materialien aus Holz, Textilien und Metallen. „Der Nachhaltigkeitseffekt solcher Strategien der Kreislaufwirtschaft ist jedoch nicht selbstverständlich gegeben. Sie müssen daraufhin überprüft werden, ob sie tatsächlich den beabsichtigten Mehrwert für die Umwelt erzielen. Die industrielle Ökologie liefert uns die Instrumente für diese Bewertungen.“Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam hat der TU-Wissenschaftler ein Weißbuch zur Kreislaufwirtschaft verfasst, das heute veröffentlicht wurde.

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„Ein Dauerthema in Berlin ist der Wohnungsmangel“, sagt Dr. Peter Berrill. „Berlin hat einen Plan zum Bau von 200 000 neuen Wohnungen – anstelle von Neubauten kann auch versucht werden, bereits bestehende Gebäude besser zu nutzen, z.B. durch Umnutzung oder Umbau von leerstehenden bzw. nicht ausgelasteten Häusern. Wenn man sich für Neubau entscheidet, sollten nachhaltigere Baumaterialien verwendet werden. Wie die Plattform ‚holzbauatlas.berlin‘ zeigt, wird in Berlin und Brandenburg viel mit Holz als zentralem Baustoff experimentiert..
“Regierungen und Unternehmen, die eine „Kreislaufwirtschaft“ anstreben, müssen Wissenschaftler*innen direkter einbeziehen, heißt es in dem neuen Bericht, der im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit von Forscher*innen auf dem Gebiet der industriellen Ökologie entstand, die von Dr. Stijn van Ewijk vom University College London (UCL) geleitet wurde.
Der Bericht „Zehn Erkenntnisse aus der Industrieökologie für die Kreislaufwirtschaft“ verweist auf das umfangreiche Fachwissen einer Disziplin, die sich seit Jahrzehnten mit der Minimierung von Abfällen, der Vorhersage der Auswirkungen neuer Produkte und der Gestaltung umweltfreundlicher Systeme befasst.Die Kreislaufwirtschaft ist ein Produktions- und Konsummodell, bei dem Produkte und Materialien im Gebrauch bleiben. Alle Arten von Abfällen, einschließlich Textilien, veralteter Elektronik und Metallschrott, werden in die Wirtschaft zurückgeführt oder effizienter genutzt, wodurch sich der Lebenszyklus von Produkten verlängert und die Auswirkungen auf die Umwelt verringert werden. Dies steht im Gegensatz zur derzeitigen globalisierten „linearen“ Wirtschaft, in der Ressourcen abgebaut, Produkte hergestellt, verwendet und dann weggeworfen werden.
Es ist das erste Mal, dass Forscher *innen – aus Großbritannien, der Europäischen Union, China und den USA – einen Leitfaden erstellt haben, in dem sie die Grundsätze darlegen, die ihrer Meinung nach für politische Entscheidungsträger und die Industrie unerlässlich sind, wenn „Kreislaufwirtschaft“ nicht als bedeutungsloser „Hype“ enden soll – oder schlimmer noch – als „Greenwashing“ abgetan werden soll.Dr. Stijn van Ewijk, der Hauptautor und Dozent für Umwelttechnik am University College London (UCL), sagt: „Kreislaufwirtschaft wird als etwas Neues angesehen, aber wir beschäftigen uns schon seit Jahrzehnten mit dem Thema Nachhaltigkeit und dem so genannten ‚industriellen Ökologiesystem‘. Bei der industriellen Ökologie geht es um die Messung und Reduzierung der Umwelteffekte, die durch den Einsatz von Energie und Materialien entstehen. Es gibt also ein enormes Fachwissen in diesem Bereich, sei es die Fähigkeit, Systemanalysen durchzuführen, die Lebenszyklen von Produkten zu bewerten oder Kreislaufwirtschaftssysteme zu planen.“
Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Berichts ist die Empfehlung einer Lebenszyklusperspektive, die alle Auswirkungen von der Rohstoffgewinnung bis zum Abfall am Ende des Lebenszyklus einbezieht, um sicherzustellen, dass eine potenzielle Lösung für ein Problem nicht einfach zu einer Verlagerung des Problems an anderer Stelle führt, oder ein noch größeres Problem verursacht. So wurden beispielsweise wiederverwendbare Becher von Fast-Food-Unternehmen als Alternative auf Einwegbecher zum Mitnehmen eingeführt. Aber Dr. van Ewijk sagt: „Wiederverwendung ist oft besser, aber es hängt von der Art des Bechers ab, und davon, wie oft man ihn benutzt. Viele Menschen haben heute viele wiederverwendbare Becher zu Hause und verwenden sie gar nicht regelmäßig, was die Gesamtemissionen letztendlich erhöht.
“Eine weitere Erkenntnis des Berichts ist, dass ein frühzeitiges Eingreifen in das gesamte System eine Ressourcenvergeudung verhindern kann. Die Gruppe fordert die politischen Entscheidungsträger und die Industrie auf, vorausschauend zu handeln und Systeme zu entwickeln, die effizienter und langlebiger sind, anstatt zu versuchen, die derzeitigen Systeme zu optimieren, um die Auswirkungen zu minimieren. Ein Beispiel dafür könnten Elektroautos sein, die von manchen als Ersatz für herkömmliche Kraftfahrzeuge mit fossilen Brennstoffen angesehen werden, die aber das bestehende Problem, dass mehr Autos auf den Straßen unterwegs sind, eher noch verstärken, als dass sie zugunsten eines besser konzipierten öffentlichen Verkehrs reduziert werden. Dr. van Ewijk schlägt vor: „Wir müssen die Mobilität aus einer Systemperspektive heraus neu überdenken. Elektroautos lösen das Problem der Autos mit fossilen Brennstoffen, aber nicht das Problem der Autos an sich.“ Dies steht in engem Zusammenhang mit einer weiteren Erkenntnis des Berichts, nämlich dass der Standort die Umweltfolgen beeinflusst.Die Gruppe sagt, sie habe nicht alle Antworten, betont aber die Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Ansatzes für die Kreislaufwirtschaft. „Auf rein praktischer Ebene möchten wir politische Entscheidungsträger und Unternehmen dazu auffordern, mit Industrieökologen zusammenzuarbeiten, um die richtigen Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Strategien zu gewinnen. Wenn die Beweise bereits vorliegen, haben wir wahrscheinlich Zugang zu ihnen und wissen, wie sie zu interpretieren sind; wenn nicht, können wir mit bewährten Methoden nach den Antworten suchen. Die industrielle Ökologie kann die Zukunft nicht vorhersagen, aber unsere vorausschauenden Bewertungsmethoden helfen dabei, den Umweltnutzen neuer Technologien und Praktiken zu antizipieren“, sagt Dr. van Ewijk.
Stefanie Hellweg, ehemalige Präsidentin der Internationalen Gesellschaft für Industrielle Ökologie und Professorin für Ökologisches Systemdesign an der ETH Zürich, sagt: „Die Optimierung von Materialien und die Minimierung von Abfällen sind seit den frühen 1990er Jahren Kernthemen im Bereich der industriellen Ökologie. Wir verfügen über Instrumente zur Modellierung von Materialbeständen und -strömen; wir können Möglichkeiten zur Verwendung von Abfallmaterial aus einer Industrie in einer anderen identifizieren; wir unterstützen umweltorientiertes Design; und wir können Methoden zur Bewertung der Auswirkungen während des gesamten Lebenszyklus von Produkten bereitstellen. Ich hoffe, dass dieses Papier künftige Diskussionen zwischen Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgern und der Industrie anregen und die Aufmerksamkeit auf das Fachwissen lenken wird, das bereits vorhanden ist und genutzt werden kann.“
Der Hauptautor des Weißbuchs ist Dr. Stijn van Ewijk vom University College London (UCL). Zu den anderen Autoren gehören Forscher*innen des Illinois Institute of Technology, der Technischen Universität Berlin, der Universität Antwerpen, der Yale University, der City University of Hong Kong, der Leiden University, der University of Limerick, der Newcastle University, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung und der Universität Jena, des Metabolic Institute, der Delft University of Technology und des Imperial College London.